Jana Jansen
Wrapped – Lass Spotify zusammenpacken
Aktualisiert: 4. Dez. 2022
Das Jahr ist endlich auf der Zielgeraden. Viel wichtiger als der Jahreswechsel scheint „Spotify Wrapped“. Die Top-Listen der beliebtesten Künstler*innen, aufbereitet für alle Nutzer*innen verraten mehr über die Gesellschaft als über uns. Musik ist gesellig und gesellschaftlich. Dahin sollten wir wieder kommen.

Spotify hat das Jahr für beendet erklärt und präsentiert auch mir welche Musik ich 2022 gehört hab. Ich starre auf mein „Spotify Wrapped“ und die auf der Plattform verbrachte Zeit starrt zurück. Die bitterste Erkenntnis: Mein top Genre ist Pop. Ich gehe mich schämen und bin aus dem Kreis der „Coolen“ außen vor. Ich nutze Spotify sehr gerne. Damit bin ich nicht allein. Weltweit kommen 456 Millionen Hörer*innen zusammen. Diese haben die Möglichkeit ihr Hörverhalten, sich und der ganzen Welt vorzuhalten. Doch die Probleme der Plattform sind groß.
Jedes „Wrapped“ ist Werbung für Spotify
Das Unternehmen hat bis heute keine effektive Strategie, mit den vielen Nutzer*innen und Lizenzen Geld zu verdienen. Spotify macht keine Gewinne. Das komplexe Geschäft aus Lizenzen, Urheberrechten und Stream-Zahlen kostet viel. Daher versucht Spotify seine Anteile am Podcast-Markt zu erweitern, da dieser unkomplizierter, günstiger und länger die Hörer*innen an die Plattform bindet. Die Musik nützt weder den Aktionären noch den Künstler*innen. Um sich seinen Mindestlohn als Musiker*in zu verdienen braucht es schätzungsweise 2,792,593 Streams pro Jahr. Denn Spotify schüttet wenig an eben die aus, die den Inhalt produzieren. So viele Streams schaffen unbekanntere Musiker*innen kaum. Es profitieren wenige, noch weniger Frauen als Männer.

Zudem beweist jede kleine Tafel mit den eigenen Top-Hits, was wir in der Musik verloren haben: Das Gemeinsame. Es scheint auf der einen Seite sehr privat, was ich so höre. Es ist intim, dass ich besonders im Februar traurige Lieder gehört habe. Es ging mir wohl schlecht. Doch überraschenderweise sind diese Informationen nur eine kleine Welle, die durchs Internet schwappt und schneller vergessen sind als die generischen Sommerhits 2023. Die Zusammenstellungen zeigen, dass Musik seinen verbindenden Charakter verliert. Hoch individualisiert sind unsere Playlisten, Favoriten und Künstlerkombis. Der Reiz an Spotify, sich genau diese Listen zusammenzustellen, gefährdet das Gesellschaftliche in der Musik. Den Raum für das Gefühlvolle und Widersprüchliche im Leben, für andere Lebensrealitäten. Selten komme ich in den Genuss meine Kuration anderen zu zeigen, mich auf ihre Kritik einzulassen oder ihre Lieder zu übernehmen. (Kritisiert meine Liste gerne!)
Vielleicht werde ich durch das Zeigen meiner Top-Artists wieder Teil einer Gruppe. Aber die gemeinsame Erfahrung der Musik fehlt. Musik kann verbinden, Gefühle vermitteln, uns beibringen Gefühle lernen. Genau das ist schwer zu lernen. Gefühle brauchen Zeit und Hingabe. Musik kann ein guter Ort dafür sein. Zudem können wir hören, wie es unserer Gesellschaft geht. Dafür braucht es vielschichtige Musik. Nicht das immer Gleiche und Optimierte. Streaming revolutioniert die Musik hin zu irgendeiner Möglichkeit für die Produzierenden Geld damit zu verdienen. Kürzere Songs, eingängigere Sounds, auf Kosten des Aufregenden. Pop-Kultur nimmt die Tiefe, weil wir im schnellen Konsum keine Widersprüchlichkeiten aushalten – zu komplex, zu unhandlich. Aber das können wir wieder lernen.
Eine berechtigte Frage lautet: Wie können wir das? Denn Spotify ist eine Infrastruktur, deren Abschaffung mit hohen Kosten verbunden wäre. Zum Beispiel bezüglich der dort gespeicherten Listen. Oder wo stellst Du gerade Deine Lieblingsmusik zusammen, wenn nicht auf einer eigenen Playlist? Wenige kaufen digital ihre Musik, was die Zukunft des Musikmarktes sein kann. Vielleicht ist Spotify sogar „too big to fail“. Das Problem kann kaum auf der Ebene der Verwender*innen gelöst werden. Trotzdem verhalten wir uns zu der Situation. So gehe ich damit um, auch wenn es strukturelle Veränderungen braucht.
Andere Orte suchen Es gibt eine Welt außerhalb von Spotify, die uns mit geliebter Musik versorgt und Musiker*innen bezahlt. Dafür können mitunter kostenfreie Angebote genutzt werden. Ich höre zum Beispiel gerne Radio. Ob private oder öffentliche Anbieter gehört werden, ist nebensächlich. Noch gibt es Musikredaktionen, das gilt es zu nutzen. Wenn ich neue gute Musik entdecken will höre ich Deutschlandfunk Kultur und WDR Cosmo. Gut unterhalten werde ich bei fritz vom rbb oder rtl104.6. Im Hintergrund höre ich zum Konzentrieren diverse Konzerte und Klassik. Dafür empfehle ich Klassik Konzerte von SR2 KulturRadio und die ARD Mediathek oder arte concert.
Auf Spotify Orte finden Um ein Gefühl für ein gesellschaftliches Moment zu bekommen empfiehlt es sich Playlists von anderen zu hören. Eben solche Listen, die nicht uns gehören und gut kuratiert sind. Das kann sogar mehr als eine Zwischenlösung sein, um seinen musikalischen Horizont zu weiten. Dafür lege ich die Playlisten von Diffus, Deutschlandfunk Kultur oder WDR Cosmo ans Herz.
3. Diverser streamen Spotify will sich um faire Bezahlungen für Künstler*innen drücken und setzt auf das Podcast-Geschäft. Hier lässt sich leichter Geld verdienen und verschiebt den Fokus vom Streaming von Musik zum Streaming von Inhalten. Daher habe ich angefangen meine liebsten Podcasts nicht mehr auf Spotify zu hören. Für Drinnies, Die Neuen Zwanziger oder Jung und Naiv nutze ich apple Podcast. Bestimmt nicht die feinste Lösung, sicher sind andere Anbieter besser. Zumindest umgehe ich, dass mit meinen Podcast-Minuten sich das Hauptgeschäft weiter verschiebt.
Das "Wrapped" wird geteilt, geliked und es wird gelacht – manche kennen keinen einzigen der meist gehörten Lieder. Andere verstehen die Übersicht als Ansporn sich mehr anzustrengen – frei nach der neoliberalen Leistungslogik.
Wir sollten nicht aus den Augen verlieren, dass Musik einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft leistet. Für Gefühle, Diskussion, Ekstase. Wir sollten unsere Musiker*innen gut bezahlen und die Kulturszene pflegen. Damit Musik gesellig bleibt. Lass uns Spotify verändern oder zusammenpacken.